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Rezension

Theologische Revue 01/2017

Volker Stolle verfolgt mit diesem Band, entstanden aus seiner langen Lehrtätigkeit an der Luth. Theol. Hochschule Oberursel, nicht nur das Ziel, einen Beitrag zur wissenschaftlichen Forschung zu leisten, sondern auch das Markusevangelium für die theologische Praxis zugänglicher zu machen. Wie der Titel bereits erahnen lässt, liegt diesem Werk ein erzähltheoretischer Ansatz zugrunde, der den Text des Markusevangeliums auf synchroner Ebene analysiert. Dabei erkennt St. zwar an, dass das Evangelium aus einzelnen, in sich geschlossenen Erzählungen besteht, diese jedoch bewusst zu einem kohärenten Gesamtbild zusammengefügt wurden (16) und diese literarische Gesamtkonstruktion erst zu einer einheitlichen Gesamtaussage des Evangeliums führt. Aufgrund dieser Schwerpunktsetzung werden auch besondere, narrative Elemente erwähnt (z.B. die Rolle des Erzählers und der einzelnen Figuren; 17–20). St. achtet bei dieser Vorgehensweise auf größere Erzählkreise, da einzelne Episoden des Markusevangeliums jeweils Teil eines größeren Handlungsbogens sind. Diese Kohärenz der gesamten Erzählung wird zusätzlich durch »terminologische Leitbegriffe«, »summarische Berichte« oder »Amen-Worte« als »zusätzliche Erzähltechniken« gewährleistet (19). Ferner verweist St. auf die Bedeutung der Jesus-Figur innerhalb des Evangeliums, das antiken Philosophenbiographien ähnelt und bemüht ist, »die Geschichte Jesu als die Geschichte der angebrochenen Gottesherrschaft zu erzählen« (20–23).
Mit diesem hermeneutischen Blickwinkel folgt St. der narrativen Forschung, die für das Markusevangelium besonders mit den Arbeiten von Rhoads, Michie, Best, Hahn und van lersel begann. Entsprechend dem narrativen Ansatz ist die Kommentierung auch in mehrere Erzählabschnitte untergliedert (Mk 1,16–3,6; 3.7–6,68; 6,6b–8.26; 8,27–10,52; 11.1–13,37; 14,1–16,8). Zwar wird auf verschiedene Gliederungsmodelle für das Markusevangelium verwiesen (20), allerdings gibt es keine eigene Exposition für die vorliegende Gliederung.
Die Kommentierung der einzelnen Abschnitte beginnt mit einer kurzen Gliederung der jeweiligen Erzähleinheit, gefolgt vom griechischen Text und einer eigenen Obersetzung der Perikopen sowie der Auslegung. Wie bei jedem Kommentar gibt es exegetische Einzelentscheidungen, die von den Leser/inne/n unterschiedlich bewertet werden müssen. Positiv fällt die Stringenz auf, mit der St. seinen narrativen Ansatz in der Auslegung verfolgt. Er betrachtet dabei die unterschiedlichen Verbindungen einzelner Perikopen innerhalb des jeweiligen Erzählabschnitts sowie der Gesamterzählung. So vergleicht er beispielsweise den Empfang Jesu in Nazareth mit seinem ersten Auftreten in Kafarnaum, um die Aufnahme in Kafarnaum der Ablehnung in Nazareth gegenüberzustellen. Gleichzeitig betont er auch die Verbindung der Nazarethperikope mit der vorangegangenen und der folgenden Erzählung, indem er auf mehrere verbindende Motive hinweist (z.B. der Begriff »Kraft/Macht(tat)«, das Glaubensmotiv etc.) (132). Diese ganzheitliche Betrachtungsweise verwendet er auch bei der Analyse einzelner Handlungsgeschehen, indem er beispielsweise aufzeigt, wann eine bestimmte Handlung im Markusevangelium erfolgt und wie sich eine solche kontextuelle Lesart auf die konkrete Bedeutung auswirkt. Natürlich hat dies zur Folge. dass keine versteilige Auslegung erfolgen kann, wodurch einzelne Begrifflichkeiten oftmals nicht näher erläutert werden können. An einigen wenigen Stellen führt dies dazu, dass Feststellungen getroffen, diese aber nicht weiter exegelisch begründet werden (z.B. Meer als Chaosmacht; 123). Dennoch bietet St. an vielen Stellen Erklärungen für zentrale Begrifflichkeiten an und erläutert deren historischen Kontext (z.B. Synagoge, Legion, Dekapolis etc.). Am Ende des Kommentars finden sich Anmerkungen zur Vorbereitung von Predigten, eine statistische Übersicht des Wortfelds lehren im Markusevangelium sowie eine tabellarische Übersicht der katholischen und evangelischen Leseordnungen.
Bei neuen Kommentaren zu biblischen Schriften stellt sich häufig die Frage, ob es eines weiteren Kommentars zu dieser oder jener Schrift überhaupt bedarf und wie dieser zum besseren Verständnis der behandelten Schrift beiträgt. Zwar ermöglicht ein neuer Kommentar generell den Einbezug aktuellerer Forschungsliteratur. Aber viel zu häufig finden sich keine neuen exegetischen Erkenntnisse. Anders verhält es sich mit dem vorliegenden Kommentar, der auf synchroner Ebene den Text des Markusevangeliums als ganzheitliche Narration erschließt. Diese synchrone, erzähltheoretische Vorgehensweise stellt die Stärke des Kommentars dar und bietet einen besonderen exegetischen Blick auf das Markusevangelium. Zwar werden Studierende der Theologie immer auch an diachrone Fragestellungen nach möglichen Quellen des Markusevangeliums und seiner Beziehung zu den anderen synoptischen Evangelien herangeführt werden müssen, aber ebenso wichtig wird es sein, den markinischen Text als ganzheitliche Erzählung im Lichte einer historisch rekonstruierten Leserschaft des späten 1 Jh.s n. Chr. zu begreifen. Dazu dient dieser Kommentar in vorbildlicher Weise als wissenschaftlich fundierte Grundlage.
Steffen Jöris

Rezensierter Titel:

Umschlagbild: Das Markusevangelium

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Das Markusevangelium

Text, Übersetzung und Kommentierung (unter besonderer Berücksichtigung der Erzähltechnik)
Stolle, Volker

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