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Rezension

EmK Geschichte 37 (2016), Heft 1

Christoph Klaiber hat mit seinem Buch ein zentrales Thema methodistischer Tradition und Theologie aufgegriffen. Leider ist die Frage nach Heiligung des Lebens und die Frage nach christlicher Vollkommenheit in methodistischen Gemeinden in den Hintergrund gerückt. Auch in der Verkündigung kommt dieses Thema kaum vor. Umso erfreulicher ist es, dass Christoph Klaiber diese Frage aufgreift und ausführlich behandelt. Schon der Buchtitel verrät seine Position »Von Gottes Geist verändert«. Er zeigt überzeugend, dass es bei der Frage nach dem Wirken des Geistes nicht um theologische Spekulation geht, sondern um sichtbare Veränderungen im Leben Glaubender. Er identifiziert sich mit der Position John Wesleys, »dass die Konstruktion eines widerspruchsfreien, korrekten Lehrgebäudes nicht die wichtigste Aufgabe christlicher Lehre ist, sondern das nachdenkende Verstehen des Heilsweges, den Gott mit den einzelnen Menschen, seinem Volk und seiner ganzen Schöpfung geht« (S. 99).
Klaiber hat sich gründlich mit John Wesley auseinandergesetzt und zitiert in seiner Abhandlung kundig aus den Predigten, seinen theologischen Abhandlungen, den Briefen, den Tagebüchern und den Notes Upon the New Testament. Das reiche Material gliedert er in sieben Kapiteln. Im ersten Kapitel macht er den Leser mit der Herkunft Wesleys bekannt, seinem Elternhaus, seinen frühen Erfahrungen, seinem Theologiestudium und den gesellschaftlichen und philosophischen Einflüssen, mit denen Wesley sich auseinandersetzen musste. In Kapitel zwei schildert er die Erfahrung Wesleys in der Aldersgate Street, seine Erfahrung der Heilsgewissheit. Es ist hilfreich für die Leser, dass Klaiber an dieser Stelle den Abschnitt aus der Vorrede Luthers zum Römerbrief abdruckt, die Wesley damals gehört hatte und die ihm die Gewissheit schenkte, dass ihm seine Sünden vergeben sind. Klaiber erörtert Heilsgewissheit an Hand zweier Predigten Wesley (Das Zeugnis des Geistes, Predigt 10 und 11 der Standard Sermons) und dann grundsätzlich theologisch und philosophisch und hält dann fest: »die Stimme des Geistes, die durch Wort und Gnadenmittel ergeht, schafft sich selbst das Organ, weckt dem Menschen das Ohr und alle Sinne, dass er durch den Geist die gnädige Gegenwart Gottes und das Zeugnis der Kindschaft erfährt und empfängt« (S. 69). Im dritten Kapitel geht es um das Wirken des Geistes auf dem Heilsweg. Ganz zentral geht es um die Erfahrung, dass das von Gott in Christus gewirkte Heil eine gegenwärtige Erfahrung ist. Wesley spricht von »present salvation«. Es geht in diesem Kapitel um die Bestimmung, wie sich Rechtfertigung und Wiedergeburt zueinander verhalten. John Wesley hält fest: Rechtfertigung ist die Tat Gottesfür uns und stellt den Menschen in ein neues Verhältnis zu Gott, Wiedergeburt ist das Werk Gottes in uns und verändert das Wesen des Menschen von Grund auf, »so dass wir aus Sündern zu Heiligen werden« (S. 77). Mit der Wiedergeburt beginnt die Heiligung, die schließlich zu vollkommener Liebe oder zur christlichen Vollkommenheit führen soll. Hier geht es aber nicht um einen besonderen Stand, der erreicht werden kann, sondern um einen Weg auf ein Ziel zu, der Gemeinschaft mit Gott. Wichtig ist es, auf diesem Weg zu bleiben. Das ist kein Alleingang. Den Weg gehen Menschen in Gemeinschaft mit anderen und gestärkt durch den Heiligen Geist. »Gottes Geist verändert und erneuert den Menschen wirklich ...« (S. 94).
Im vierten Kapitel macht Klaiber mit den Gnadenmitteln vertraut. Hier nimmt er auch die Taufe auf, obwohl sie nicht eigentlich ein Gnadenmittel zum ständigen Gebrauch ist. Taufe wird nur einmal vollzogen. Für den interessierten Leser und die interessierte Leserin bietet Klaiber ein kurz gefasstes methodistisches Taufverständnis. Die in den Allgemeinen Regeln genannten Gnadenmittel sind: »Der öffentliche Gottesdient. Das Hören des Wortes Gottes, es werde solches gelesen oder ausgelegt. Das Abendmahl des Herrn. Das Beten in der Familie und im Verborgenen. Das Forschen in der Schrift. Fasten und Enthaltsamkeit.« Gnadenmittel sind im Verständnis John Wesleys von Gott eingesetzte Mittel oder Wege, auf denen er uns vorlaufende, rechtfertigende und heiligende Gnade zukommen lässt. Und Klaiber fügt ein siebtes Gnadenmittel hinzu, die »christian conference«, Ge-meinschaft. Dieses Mittel nennt Wesley selbst in anderen Listen der Gnadenmittel. Hier ist das offene, prüfende und den Glauben stärkende Gespräch in den Klassen gemeint. Jedes dieser Gnadenmittel erläutert er ausführlich. Seine Überlegungen wären ein gutes Material für vertiefende Gespräche zur Bedeutung der Gnadenmittel in verschiedenen Gemeindegruppen. In der abschließenden Beurteilung hält er die wichtige Einsicht fest: »Gnadenmittel sind nicht Privilegien der Glaubenden, sondern Mittel, durch die Gott gerade suchenden und fragenden Menschen allererst den Glauben schenkt« (S. 147).
Im fünften Kapitel spricht Klaiber über Zeichen, Wunder und Visionen als Begleitmusik der Erweckungsbewegung. Wesley hat dem keine große Bedeutung beigemessen. Für ihn war ein anderes Wunder wichtig: »Dass Menschen aus der Sünde zu Umkehr und neuem Leben finden« (S. 175). Als Maßstab für die Beurteilung verschiedener Phänomene dienten drei Kriterien: 1) die Übereinstimmung mit der Schrift, 2) die Erfahrung; also die Erfahrung der glaubenden Gemeinde, nicht die von einzelnen Personen und 3) Transformation; also, ob durch ein bestimmtes Phänomen oder eine bestimmte Praxis Gutes geschieht, das Reich Gottes gefördert wird und Menschen eine heilsame Veränderung erfahren (S. 177). Klaibers Folgerung: »Charismatische Phänomene und die Charismen aus 1. Kor. 12 werden bei Wesley nicht zum Programm erhoben« und »Wesley hat immer der Heiligung des Lebens (die sich für ihn gemäß den Allgemeinen Regeln höchst konkret auswirkt) deutlich den Vorrang vor allen geistlichen Erfahrungen und Segnungen gegeben« (S. 182).
In Kapitel sechs wendet Klaiber sich der vollkommenen Liebe zu. Hier ist das Herzstück dieser theologischen Abhandlung. Klaiber zeigt überzeugend, wie John Wesley mit dieser Frage ringt und sich sein Leben lang bemüht, ein Leben, ganz von Liebe zu Gott und den Menschen erfüllt, zu beschreiben. Er kämpft gegen Missverständnisse und gegen illusionäre Übertreibungen, hält aber fest, dass das, was Gott gebietet, dazu gibt er auch durch seinen Geist die Kraft. Klaiber hält fest: »Weil die Gebote der Gottes- und Nächstenliebe ganz eindeutig den Lebenden gegeben sind, gilt auch die entsprechende Verheißung nicht erst für die Todesstunde oder gar die ewige Herrlichkeit, sondern kann in der Gegenwart erbeten, erstrebt und empfangen werden« (S. 205). Klaiber bedauert, dass die Frage nach der christlichen Vollkommenheit im deutschsprachigen Methodismus heute faktisch ignoriert wird (S. 206). Dagegen behauptet er: »Ohne eine starke Lehre von der christlichen Vollkommenheit ist methodistische Theologie nicht denkbar. Ohne Hoffnung auf und das Streben nach dieser Vollkommenheit wird methodistisches geistliches Leben tendenziell verkümmern« (S. 207). Aus seinem umfangreichen Plädoyer hebe ich nur seine Thesen hervor. Sie zeigen deutlich sein Anliegen. Ich kann seinen Thesen durchaus zustimmen. Sie lauten: A) Vollkommenheit kann nicht negativ bestimmt werden. B) Vollkommenheit bedeutet ganzes, wahres Menschsein, nicht Vergottung. C) Der Begriff der »Vollkommenheit« bzw. »perfection« darf nicht aus philosophischen Definitionen, sondern muss aus der biblischen Begriffsgeschichte verstanden werden. D) Heiligung und christliche Vollkommenheit ist kein Privatprojekt des frommen Individuums. Christliches Leben ist immer gemeinsames Leben. Christliche Vollkommenheit ist grundlegendes Vertrauen. Christliche Vollkommenheit ist ungeteilte Hingabe. Christliche Vollkommenheit ist Leben auf Zukunft hin. Seine Argumente sind anregend und erfrischend.
Im siebten Kapitel zieht er Konsequenzen aus seinen bisher gemachten Überlegungen. Er betont, dass Wesley trinitarisch denkt. »Das Wesen des Geistes erschließt das Wesen des dreieinigen Gottes. In der neuen Gemeinschaft, die Gottes Geist schafft, teilen Menschen Geisterfahrung und Gnadenmittel und wachsen über sich hinaus zur Erneuerung der Welt und Gesellschaft« (S. 224). In diesem Kapitel, wie es der zitierte Satz andeutet, entwickelt Klaiber trinitarische, ekklesiologische und gesellschaftliche Perspektiven. Es sind herausfordernde und anregende Überlegungen. Er weist darauf hin, dass es nicht bei Überlegungen und Diskussionen bleiben darf. »Eine Suche nach neuen, bereichernden spirituellen Erfahrungen ohne Bereitschaft zu konsequent und konkret gelebter Nachfolge geht dabei am Grundanliegen methodistischer Frömmigkeit vorbei« (S. 277).
Zwei theologische Überlegungen möchte ich hervorheben. Klaiber betont zu Recht und in Übereinstimmung mit den meisten methodistischen Theologen die zentrale Bedeutung christlicher Erfahrung für die methodistische Theologie. Diese Erfahrung ist mehr als etwas, das sich nur im Leben eines Individuums abspielt. Er zitiert zustimmend Michael Nausner mit dem Satz: »Christliche Erfahrung ist die bewusste und spürbar verändernde Teilhabe an Gottes neuschaffendem Wirken in der Welt« (S. 68). Leider ist dieser erfahrungsorientierte Ansatz noch nicht richtig zum Tragen gekommen. Der andere Gedanke betrifft die Frage, ob christliche Vollkommenheit gleich zu setzen sei mit Sündlosigkeit. Hier hat Wesley viele Diskussionen geführt, die im Grunde alle nichts gebracht haben. Klaiber betont m. E. mit Recht, dass Vollkommenheit »nicht negativ, sondern positiv, ja [...] sogar ausschließlich positiv bestimmt werden muss« (S. 209). Ansätze sind bei Wesley da. So kann etwa Wesley die Frage stellen: »Wenn das Herz ganz erfüllt ist von der Liebe Gottes, ist dann noch Platz für die Sünde?«
Ich hoffe, dass viele Pastoren und Laienmitglieder der Jährlichen Konferenz und darüber hinaus viele Mitglieder in den Gemeinden das Buch kaufen und sich mit der Frage der Heiligung und der Frage, was christliche Vollkommenheit heute bedeuten kann, auseinandersetzen. Ich würde der Theologischen Hochschule in Reutlingen empfehlen, dies Buch als Pflichtlektüre jedem Studenten und jeder Studentin vorzuschreiben. Ich habe das Buch mit großer Freude und inneren Anteilnahme gelesen und dabei viel gelernt und profitiert. Christoph Klaiber schreibt verständlich. Er hat die Gabe, auch schwierige theologische Probleme klar darzustellen, so dass auch Leser mit geringen theologischen Vorkenntnissen sich zurecht finden können. Seine Überlegungen und Argumente formuliert er im Gespräch mit dem aktuellen theologischen Diskurs, vor allem aber mit den jetzt lehrenden methodistischen Theologen (wie etwa Albert C. Outler, Ole E. Borgen, Richard Heitzenrater, Dennis M. Campbell, Ted A. Campbell, Kenneth J. Collins, Walter Klaiber, Manfred Marquardt, Randy L. Maddox, Theodore Runyon und vielen anderen. Das Literaturverzeichnis informiert detailliert darüber). Das macht die Lektüre nochmals spannend und anregend. Ich hoffe, dass Klaiber mit seinem Buch eine Diskussion unter Methodisten in Europa und weltweit auslöst und viele Menschen die Bedeutung christlicher Vollkommenheit neu entdecken und ihr nachstreben.
Helmut Nausner

Rezensierter Titel:

Umschlagbild: Von Gottes Geist verändert

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Von Gottes Geist verändert

Ursprung und Wirkung wesleyanischer Pneumatologie
Klaiber, Christoph/Wenner, Rosemarie

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