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Rezension

Jahrbuch für Freikirchenforschung (23) 2014

Mit dem vorliegenden Buch erscheint in deutscher Sprache eines der zahlreichen Werke des »beste[n] Kenner[sl der lutherischen Theologiegeschichte des konfessionellen Zeitalters« (Th. Kaufmann, S. 10). Die Einführung ist allerdings nicht »noch eine« unter anderen, die sich hierzulande dieser Thematik annehmen, sondern gewissermaßen auch eine Alternative zu denen. Robert Kolb, emeritierter Professor des Concordia Seminary, St. Louis, USA, lenkt den Fokus in seiner Einführung auf die theologischen Sachfragen, die die Zeit der sogenannten »Spätreformation« bewegten, dabei leidet die Einbettung dieser Auseinandersetzungen in die jeweiligen historischen und politischen Kontexte keineswegs.
In seinem Geleitwort (13 ff.) gibt Kolb einen knappen Überblick über die Entwicklung des »Bekennen« bis zur Reformationszeit und in jenem Zusammenhang besonders der Rolle der Confessio Augustana. Dies dient als vorausgehender Kontext, der die Entstehung der Konkordienformel zu verstehen hilft. Dazu gehört unabdingbar eine Darstellung des »Sitzes im Leben« der Konkordienformel in der Spätreformation (25 ff.). Die Überschrift dieses Kapitels macht schon deutlich, dass Kolb entschieden die Begrifflichkeit der »Spätreformation« für den historischen Kontext der Konkordienformel anstatt der in verschiedenen Kreisen negativ verhafteten Begrifflichkeit der »Frühorthodoxie« verwendet. Kolb bemüht sich hier darzustellen, dass der Prozess, der in der Verfassung der Konkordienformel kulminiert hat, als eine normale Entwicklung zu betrachten ist. Es ist eben eine natürliche Entwicklung, dass sich die Epigonen eines großen Lehrers nach dessen Tod über die Rezeption seiner Lehren streiten. Im konkreten Fall der Spätreformation ist nachvollziehbar, dass die Kontrahenten sich in Lager aufteilten, denn das entsprach die akademischen Gepflogenheiten jener Epoche; so wie nachvollziehbar ist, dass die Lager sich verfeindet gegenüber standen, weil der Schmalkaldische Krieg und das Augsburger Interim tiefe Gräber zwischen den Erben Luthers ausgehoben hatten.
Die Geschichte der Kontroversen beginnt schon früh, denn es gab bereits theologische Spannungen unter Luthers Anhängern vor seinem Tod (31 ff.) wie z. B. zwischen ihm und Agricola, zwischen diesem und Melanchthon, zwischen Cordatus und Cruciger oder zwischen Amsdorf und Melanchthon. Diese Auseinandersetzungen waren charakterisiert von unterschiedlichen Interpretationen und Radikalisierungen von Luthers Lehren und waren sozusagen ein Präludium der scharfen Auseinandersetzungen, die nach Luthers Tod und im Gefolge der Interimsproblematik zum Ausbruch kamen. In der Tat waren Schmalkaldischer Krieg, Interim und Adiaphorakontroverse die Schauplätze einer Streitkultur (40 ff.), die zur Entstehung der Konkordienformel geführt haben. Seit der Vorlegung der Confessio Augustana in Augsburg 1530 prägten komplizierte gesellschaftliche, politische und theologische Gefüge die Landschaft im Deutschen Reich und darüber hinaus. Die politische Lage im Schatten von Schmalkaldischem Krieg, »Augsburger Interim« und »Leipziger Landtagsentwurf« (»Leipziger Interim«) vermengte sich mit der theologischen Diskussion bezüglich der Frage nach der wahren Rezeption Luthers und verursachte die bekannte Feindschaft zwischen den Theologen aus Magdeburg auf der einen und dem Kreis um Melanchthon in Wittenberg auf der anderen Seite. In den Ausführungen Kolbs wird auch deutlich, wie die eigene Biographie der Kon-trahenten eine wichtige Rolle bei der Übernahme von bestimmten Positionen und Unbeweglichkeiten gespielt hat. Es ist sehr bemerkenswert und löblich, dass Kolb immer wieder versucht, die Lage der Kontrahenten und ihrer Positionierung im kontextuellen Ganzen zu verstehen, was vorschnelle Verurteilungen vermeidet. Im unmittelbaren Vorfeld der Konkordienformel geht es Kolb darum, die bekannten Fraktionen der »Gnesiolutheraner« und »Philippisten« darzustellen und voneinander zu unterscheiden, wobei es deutlich wird, dass die Komplexität der Auseinandersetzungen in dieser Periode sich schwerlich auf nur zwei »Parteien« reduzieren lässt. Zuletzt geht es dann um die eigentlichen Verfasser der Konkordienformel, indem sie theologisch und politisch identifiziert werden.
Die Darstellung der theologischen Kontroversen im Hauptteil des Werkes ist zweiteilig: Zuerst werden die Voraussetzungen und Entwicklungen analysiert, dann werden im zweiten Moment die Lösungen, die in der Konkordienformel ausgearbeitet worden sind, untersucht. Das führt allerdings dazu, dass im zweiten Teil einiges wiederholt wird. Bedingt durch die Tatsache, dass es sich um eine Übersetzung aus dem Englischen handelt, ist der Text hier und da etwas sperrig. Abgesehen davon, ist der Text insgesamt präzise und leicht verständlich.
Die Majoristenkontroverse und der Antinomistenstreit (66 ff.) waren die theologischen Auseinandersetzungen im Umfeld des vierten und fünften Artikels der Konkordienformel. Kolb beschränkt sich dabei nicht auf eine Kommentierung und Zusammenfassung der Hauptaussagen der entsprechenden Artikel, sondern behandelt weitere komplizierte Kontroversen, die im Umfeld der Artikel standen und dabei helfen, ihre Aussagen über die »guten Werke« und vom »Gesetz und Evangelium« zu verstehen. Die Problematik entfaltete sich im sogenannten »synergistischen Streit«, der Kontroverse über die Erbsünde und die Erwählungslehre (77ff.). Vom berühmten Streit zwischen Erasmus und Luther über den freien bzw. geknechteten Willlen geht es bei Kolb über die spätreformatorischen Auseinandersetzungen zwischen Amsdorf, Pfeffinger, Gallus, Menlanchthon, Strigel, Flacius u. a. zu der im zweiten Artikel der Konkordienformel gefundenen Lösung, die die radikalen Positionen der vorangehenden Auseinandersetzungen ablehnte und die in ihnen als mit der biblischen Lehre vereinbarten Momenten aufnahm. Die schwierige und sogar die konkordienlutherischen Kirchen des 19. und 20. Jahrhunderts beschäftigende Thematik der Erwählungslehre gehört in diesen Zusammenhang und wird hier von Kolb dargestellt, sowohl anhand der im Vorfeld der Konkordienformel staugefundenen Kontroversen als auch anhand der in deren elften Artikel proponierten Lösung.
Die Theologen der Spätreformation stritten sich auch über »die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt« (97 ff.), besonders im Zuge der Außenseiterposition Osianders. Dem bis jetzt angewandten Muster folgend, behandelt Kolb in diesem Abschnitt zuerst die theologischen Meinungen und ihre Zusammenhänge, die zu den Auseinandersetzungen um die Rechtfertigungslehre des Andreas Osiander führten, um sich dann in einem knappen theologischen Kommentar den im dritten Artikel der Konkordienformel niedergeschlagenen Lösungen zuzuwenden. Obwohl Osiander theologisch eher ein Außenseiter war und blieb, machte die Unterstützung seiner Position durch die Politik ihre Bedeutung aus. Der Streit um Abendmahl und Christologie (110 ff.) dürfte der längste und heftigste gewesen sein, was sich auch in der Länge des entsprechenden Kapitels bei Kolb niederschlägt. Das ist verständlich angesichts der Komplexität der Thematik in ihrer geschichtlichen und dogmatischen Entfaltung und in ihrer heute noch andauernden ökumenischen Bedeutung. Um die Positionen und Auseinandersetzungen, die zu den Ausführungen im siebten und achten Kapitel der Konkordienformel geführt haben, zu verstehen, führt Kolb den Leser an die ersten Jahrzehnte der Reformation zurück. Bereits die frühen Auseinandersetzungen Luthers mit Karlstadt, Zwingli und Oekolampad bildeten das Präludium für das, was in der Spätreformation zutage kam. So geht die Darstellung weiter mit der »Wittenberger Konkordie«, dem Streit zwischen Westphal und Calvin, zwischen Timann und Hardenberg, dem Vordringen des Calvinismus in der Pfalz mit seiner Kulmination im »Heidelberger Katechismus« und ganz entscheidend der Rolle der sogenannten »Kryptophilippisten« in Sachsen, die früher ungeeigneterweise »Kryptocalvinisten« genannt wurden. Hier nimmt Kolb Ergebnisse neuester Forschung bewusst auf. In Verbindung mit den christologischen Fragen steht auch das Verständnis der Höllenfahrt Christi, die dann im neunten Artikel der Konkordienformel behandelt und ihr »als eine Art Anhang« (145) angefügt wurde.
Aber nicht nur die Streitereien charakterisierten das Vor- und Umfeld der Konkordienformel, sondern auch die zahlreichen Einigungsversuche (146ff.), die von Fürsten und Theologen vorangetrieben wurden. Kolb macht es deutlich, dass hierbei nicht nur Theologisches, sondern nicht selten auch Menschliches im Wege einer Einigung stand. In diesen Zusammenhang gehören auch die vielen Corpora doctrinae, die in den verschiedenen deutschen Territorien entstanden sind. Sie brachten einen »gemeinsame[n] Kernbereich für die öffentliche Lehre in den Blick«, sodass »durch diese Sammlungen der Weg für eine Akzeptanz des Konkordienbuchs geebnet« wurde (156). Allerdings war die Situation so verfahren, dass ein Neubeginn notwendig sein musste.
Dies begann sich zu realisieren durch Jakob Andreaes Vorstoß zu lutherischer Einheit (158 ff.), der in die Abfassung der Konkordienformel und des Konkordienbuchs mündete. Hier würdigt Kolb die besonderen Bemühungen Andreaes, aber auch Chemintz und Chytraeus, die lutherische Einheit wiederherzustellen. Aus diesen Bemühungen kam über die »Schwäbisch-Sächsische Konkordie« und die »Maulbronner Formel« das sogenannte »Torgische Buch« zustande, aus dem dann durch eine einmalige Kritikrezeption das »Bergische Buch«, die Solida Declaratio der Konkordienformel, entstand. Der letzte Schritt war es dann, die Hauptdokumente der lutherischen Reformation in einem Corpus doctrinae, dem Konkordienbuch, zu sammeln. Allerdings ließen sich bekanntlich einige Stände für die Unterschreibung der Konkordienformel nicht gewinnen. Diese Entwicklung und einen Teil der in den 1580er Jahren entstandenen Kritik streift Kolb im letzten Kapitel (174 ff.). Es ist den Architekten des Konkordienwerks nicht gelungen, das gesamte Luthertum für Konkordienformel und -buch zu gewinnen, aber etwa Zweidrittel der Lutheraner bekannten sich zu dem Einigungswerk, das in der Zeit danach weiterhin eine wichtige Rolle spielte.
Kolb schließt sein Buch mit einem Postscriptum, in dem er auf die bereits durch Ernst Koch herausgearbeitete ökumenische Bedeutung der Konkordienformel hinweist. Dabei schließt er mit den weisen Worten: »Will man die Konkordienformel im 21. Jahrhundert lesen und darauf zurückgreifen, dann ist es nötig, das Dokument in seinem historischen Kontext zu verstehen« (180). Dazu leistet sein Werk ja einen kurzen, aber soliden Beitrag. In seinem Geleitwort kündigt Kolb seine Intention mit dem vorliegenden Werk an: »den Leser mit dem derzeitigen Stand historischer Forschung zu dieser Geschichtsepoche bekannt zu machen, ebenso wie mit den Streitfragen und den Lösungen, wie die Konkordienformel sie als Bekenntnis zusammenfasst, um das, was sie lehrt, verstehen zu helfen« (24). Das ist ihm in aller Hinsicht gelungen.
Gilberto da Silva

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