Rezension
Ichthys 29 (2013) Heft 1
»Confessio in ecclesiis apud nos non est abolita« (1). 1530 versicherten die Bekenner von Augsburg dem Kaiser: Trotz anders lautender Vorwürfe — die Beichte ist bei uns in den Gemeinden nicht abgeschafft! Stattdessen wurden die Glaubenden über Sinn, Trost und Würde der Privat-Absolution belehrt, welche sie üblicherweise vor der Kommunion empfingen.
Knapp ein halbes Jahrtausend später: Der fünfte Ergänzungsband der Oberurseler Hefte, vor zwei Jahren in der Edition Ruprecht erschienen und herausgegeben von WERNER KLÄN und CHRISTOPH BARNBROCK, behandelt Buße und Beichte in der evangelisch-lutherischen Kirche. Eine Hinführung der Herausgeber hebt die Aktualität der Thematik hervor und verdeutlicht mitsamt einer Widmung des Bischofs der Selbständigen Evangelisch-lutherischen Kirche (SELK): Es handelt sich zugleich um eine Festschrift zum 75. Geburtstag für den ehemaligen Dozenten für Praktische Theologie an der Lutherischen Theologischen Hochschule (LThH) WILHELM ROTHFUCHS.
Gut 250 Seiten umfasst der Sammelband; ein erster umfangreicherer Teil nähert sich mit zwölf Aufsätzen dem Themenfeld »Beichte und Buße in Bibel, Bekenntnis, Gottesdienst, Verkündigung, Seelsorge und Mission«. Durch die Beiträge verschiedener Fachbereiche kommt ein sehr facettenreiches Resultat zustande:
Für das Alte Testament wird durch ACHIM BEHRENS anhand von Psalm 51 in äußerst ausgereiften Beobachtungen illustriert, dass »Bußtheologie zugleich immer auch und vor allem Gnadentheologie« (28) ist; der Schöpfer handele zugleich auch als der Erlöser. Treffend wird der Psalm als ein »Kompendium alttestamentlicher Sünden- und Gnadentheologie« (29) präsentiert.
Die beiden neutestamentlichen Autoren VOLKER STOLLE und JÖRG C. SALZMANN erörtern einerseits Absolution nach dem Matthäusevangelium (vgl. V. 1,21) mit besonderer Akzentuierung der Einheit Gottes mit Jesus und seinem universalen Erlösungsziel; andererseits kommen Buße und Vergebung sowie das Verständnis der Beichtworte aus Mt 16,19 und Joh 20,22f. zur Sprache. Die gezogene Schlussfolgerung: »Insofern und im Blick auf die Übertragung der Vollmacht Jesu auf die Jünger können die im Beichtgottesdienst zitierten Schriftworte als ›Einsetzungsworte‹ verstanden werden, obwohl sie die ›normale‹ Sündenvergebung für Christen ursprünglich nicht im Blick haben.« (56)
Der Herausgeber KLÄN selbst liefert in seinem Beitrag eine exzellente Analyse des lutherischen Bekenntnisses: »Darin liegt der ganze Trost von Beichte und Buße für die ›erschrockenen Gewissen‹, dass Gott selbst der Handelnde ist durch sein Wort der Absolution […]. Der Hauptinhalt des Evangeliums, die ganze Fülle der Christuserkenntnis und die Wahrheit allen Gottesdienstes sind darin begriffen!« (68) Die Beichte, das dritte Sakrament! »Als gottgegebenes ›Zeichen‹, darauf weist Martin Luther hin, hilft der Zuspruch der Vergebung dem Glaubenden, seines Heils gewiss zu werden, weil sich darin Gottes Selbstzusage in äußerlich wahrnehmbarer Weise vollzieht!« (76)
Weitere Aufsätze widmen sich Fragen der Liturgik und Liturgiegeschichte, anschaulicher Predigt sowie alters- und sachgerechter Vermittlung von Schuld und Vergebung bei Kindern. Drei folgende Beiträge weiten den Blick durch biographische Notizen und ethnologische Überlegungen für die lebenspraktische Dimension: Sündenbekenntnis und Vergebung in der Mission, insbesondere einer schamorientierten Kultur, sowie innerkirchlich: »Die Existenz der Kirche wird nicht durch eigene Schuld bedroht, sondern durch unvergebene Schuld und eine Selbstgerechtigkeit, die meint, das eigene Handeln wäre fehlerfrei!« (165)
Abschluss des ersten Teils und gleichzeitig Überleitung zum zweiten Abschnitt bilden zwei Aufsätze, die sich mit der Beichtansprache beschäftigen: »Die Beichtrede als irdische Form der den Hörer retten und segnen wollenden Liebe Christi — diese Nuance wollte ich hervorheben!« (174) Der zweite Herausgeber BARNBROCK bietet in seinem letzten Aufsatz hervorragende homiletische Überlegungen, in denen Bedeutungsverlust und faktische Seltenheit der Beichtrede, Herausforderungen und Rahmenbedingungen, die Variationsbreite einer solchen Rede sowie praktische Impulse bzgl. Form, Gestaltung und Ort der Beichtansprache thematisiert werden. Dieser Beitrag bildet zugleich eine Auswertung der 17 Bußreden und Beichtansprachen, die den zweiten Teil des Sammelbandes bilden: Aus dem Bereich selbständiger evangelisch-lutherischer Kirchen ist hier eine abwechslungsreiche Auswahl unterschiedlicher Formen gefunden — von der Buß- und Bettags-Predigt bis zur Pfarrkonventsmeditation.
Ein Autorenverzeichnis informiert den Leser über die Verfasser der einzelnen Beiträge. Ein Sach- sowie Bibelstellenregister erscheint sehr hilfreich zur systematischen wie homiletischen Arbeit mit diesem Ergänzungsband der Oberurseler Hefte.
Der Klappentext verspricht »die Diskussion von Beichte und Buße in Exegese, Systematischer und Praktischer Theologie von ausgewiesenen Vertretern dieser Fächer«. Ob dieses Versprechen voll eingehalten wird, bleibt zu fragen. Jedenfalls leistet der Band eine differenzierte und sachgemäße Darstellung von »Buße und Beichte in der evangelisch-lutherischen Kirche«; wobei hier besonders die beiden Aufsätze der beiden Herausgeber hervorgehoben werden sollen: »Das ›dritte Sakrament‹. Beichte und Buße im Bekenntnis der lutherischen Kirche« schafft eine systematische Grundlegung, an welche »Die Beichtansprache. Homiletische Überlegungen zu einer selten gewordenen Predigtgattung« mühelos anknüpfen kann und damit von der Theorie zur Praxis überleitet. Das ist dieser Band: Ein solides und vielseitiges Theorie-und Praxisbuch.
Andreas Pflock
Anmerkungen
(1) CAXXV.