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Rezension

h-soz-u-kult, 25.01.2013

Anlässlich des 80. Geburtstages von Gottfried Hoffmann wurde seine bislang nur in maschinenschriftlicher Form vorliegende und 1972 als Dissertation von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg angenommene Studie zur innerreformatorischen Abendmahlskontroverse einem breiteren deutschsprachigen Publikum erstmals zugänglich gemacht. Ihre Aufnahme in die Reihe der »Oberurseler Hefte« verrät die enge Verbundenheit des Verfassers mit der Lutherischen Theologischen Hochschule, an der Hoffmann bis 1993 das Fach Systematische Theologie lehrte. Wenngleich sich die Untersuchung zwangsläufig auf die vor 1972 erschienene Literatur stützt, verfügt sie aus mindestens zwei Gründen über einen Bezug zur aktuellen Forschung: Einerseits ist keine vergleichbare, jüngere Studie bekannt, wie auch die von Johannes Hund erstellte Auswahlbibliographie (S. 13–15) bezeugt; andererseits ist nicht zuletzt aufgrund der noch bis 2017 andauernden Lutherdekade das Interesse am innerreformatorischen Ringen um Einheit neu geweckt worden.[1] Bekanntlich waren die divergierenden Haltungen Luthers und Zwinglis zur Abendmahlsfrage nicht zu überwinden.
Vor diesem Hintergrund ist die Veröffentlichung des zu besprechenden Bandes umso erfreulicher, werden doch die Sichtweisen Oekolampads (S. 20–117), Zwinglis (S. 118–152), Luthers (S. 153–181) und Melanchthons (S. 182–245) intensiv und sehr detailliert dargestellt. Dass in diesem Zusammenhang jeweils das Hauptaugenmerk auf das patristische Argument gelegt wird[2], ist nur konsequent, da die vielfach betonte Bezugnahme des Reformators Luther auf den Kirchenvater Augustinus freilich kein Einzelfall war[3], sondern unweigerliche Voraussetzung für jeden reformatorischen Theologen, der sein theologisches Konstrukt auf tragfähigem Fundament aufbauen wollte. Zudem kann Hoffmann deutlich machen, dass Augustinus in der Abendmahlsfrage von den Schweizer Reformatoren sogar wesentlich häufiger zitiert wurde als von Luther (S. 249).
Der kirchenväterliche Rückbezug stützt sich indes bei Oekolampad, Zwingli, Luther und Melanchthon stets auf mehrere patristische Theologen. So gewinnt Oekolampad unter fast ausnahmsloser Konzentration auf Kirchenväter des 3. und 4. Jahrhunderts die Erkenntnis, dass sowohl Transsubstantiation als auch Konsubstantiation im Abendmahl nicht in Frage kommen. Seiner Ansicht nach gehen die patristischen Texte nicht von einem Wunder aus und führen diesbezüglich auch nichts an, »was über menschliches Verstehen hinausgehe« (S. 26). Besonders deutlich wird dies in seiner Lesart des Johannes Chrysostomos, wonach dieser »aus der Realpräsenz mit Notwendigkeit viele Christusse an vielen Orten zugleich folgert« (S. 33). Daher sei doch vielmehr von einem bloßen ›exemplar‹, einem Gedenkzeichen, auszugehen, das die Abendmahlsfeier zu einer Erinnerungshandlung werden lasse (S. 34f.). Für Zwingli, so beweist Hoffmann eindrücklich, ergeben sich manche Fragestellungen im Zuge der kirchenväterlichen Bewertung des Abendmahls bereits aus dem Grund nicht, da für ihn allein das Wort Gottes richtungsweisend ist (S. 118). Aus ihm entwickelt er sein Verständnis des Abendmahls, das ihm bekanntermaßen als eine »res per se manifesta et verbo die firma«[4] gilt, und es bedarf somit keines altkirchlichen Schrifttums. Nur an wenigen Stellen fügt er – teilweise ohne den Kontext zu berücksichtigen – patristische Zitate in seine Beweisführung ein, um diese zusätzlich durch die autoritative Kraft der Kirchenväter zu untermauern. Wo dies nicht möglich ist, kann er sie dank seiner »Freiheit gegenüber den Vätern, die bei Oekolampad so nicht zum Ausdruck gekommen ist« (S. 118), bei Seite lassen. Trotz dieser unterschiedlichen Vorgehensweise gelangt auch Zwingli zu dem Ergebnis, dass das Abendmahl bloßes Erinnerungsmahl sei (S. 120). Im Gegensatz zu der auf den ersten Blick weniger intensiven Berücksichtigung patristischer Positionen konzentriert sich Zwingli dafür umso eingehender auf die Auswertung einschlägiger Begriffe, wobei er stets das jeweilige Schriftverständnis der Kirchenväter berücksichtigt.
Diese Umgangsweise mit Positionen der Kirchenväter liegt für Hoffmann auch bei Martin Luther vor, der »seine Lehre mit den Vätern nur auf die Schrift gründen [will]« (S. 152) und – wohl auch als Reaktion auf den Commentarius Zwinglis[5] – 1527 formulierte: »Wir handeln aber itzt nicht, ob Tertullianus und ander lerer recht odder unrecht leren, Denn wir woellen unsern glauben nicht auff menschen sondern auff Gotts wort, den einigen fels, bawen, Nicht das wir sie verachten, Denn sie habens freylich so gut gemeinet, als wirs ymer meinen koennen, und yhreerbeitdargethan uns zu nuetze, Sondern das handeln wir, ob die schwermer der Vetersprueche recht brauchen odder ob sie mit luegen umb gehen, und sehen, was die veter gehalten haben.«[6] Ähnlich wie bei Zwingli ist daher auch bei Luther eine gewisse Freiheit gegenüber den Kirchenvätern zu konstatieren, was freilich nicht zu deren Ignoranz führt, sondern lediglich die Prioritätensetzung in der Vorgehensweise Luthers erklärt. So argumentiert er zunächst auf Grundlage biblischer Äußerungen zum Abendmahl, um im zweiten Schritt die kirchenväterlichen Positionen zu konsultieren, die für ihn gleichsam als »Zeugen der Schriftwahrheit« (S. 155) die biblischen Ausführungen verifizieren.
Hoffmann verdeutlicht in diesem Zusammenhang einmal mehr die unterschiedliche Bedeutung patristischer Sichtweisen innerhalb der Argumentationen der Reformatoren: Während sich insbesondere Oekolampad neben der Bibel auch auf die Kirchenväter gestützt habe, sei bei Luther ein Blick in die Väteraussagen erst nachweisbar, als er die Schweizer Ansicht des Abendmahls als Erinnerungsmahl zu widerlegen suchte (S. 157). Für Melanchthon ist indes ein gänzlich anderer Umgang mit Sichtweisen der Kirchenväter nachweisbar, den Hoffmann damit erklärt, dass Melanchthon beabsichtigt habe, ausschließlich klare, eindeutige und unmissverständliche Zitate zur Abendmahlsfrage zur Hand zu nehmen (S. 183). Dabei stützt er sich unverhältnismäßig intensiv auf Chrysostomos; auch finden sich nur bei ihm Rückbezüge auf Cyrill und Theophylakt (S. 200–202). Ursächlich dafür ist sicherlich auch die tiefgründige philologische Bildung Melanchthons, die sich auch darin zeigt, dass er in keinem Fall (wie etwa Zwingli) Zitate zusammenhangslos bietet (S. 241). Es scheint ihm vielmehr daran gelegen zu sein, unter Umständen an wenigen, dafür überzeugenden Beispielen die Heilige Schrift behutsam mit den Kirchenvätern in Einklang zu bringen, da für ihn die »Lehre der Alten Kirche«, wie Hoffmann resümiert, »die der Kirche Jesu Christi aller Zeiten« (S. 188) ist. Zwar hängen für ihn die patristischen Lehrmeinungen von den biblischen Worten ab (S. 191), sind aber doch unterschiedlich interpretierbar: So hat nach Hoffmanns Ansicht in besonderer Weise Melanchthons Auseinandersetzung mit den Kirchenvätern eine Neubewertung seines Abendmahlsverständnisses bewirkt (S. 192). Die seit Mitte 1526 zu beobachtende Veränderung schlage sich darin nieder, dass Melanchthon nicht mehr am bloßen Wandel des Brotes zum Leib Christi festhalte, sondern von einer Gegenwart des Leibes in der gesamten Abendmahlsfeier ausgehe (S. 194). Mit Hilfe des Chrysostomos gelangt er in dieser Frage zu der Erkenntnis, dass im Abendmahl zwar »eine wirkliche Verbindung mit dem Leibe Christi« (S. 201) geschenkt werde, aber »weder die mutatio panis noch die divisio corporis« (S. 243) in der Alten Kirche bekannt gewesen sei. Der Leib Christi ist für ihn lediglich im Glauben gegenwärtig. Auch Zwingli, der mit Augustinus den Leib lediglich als »Gefäß und Werkzeug« (S. 126) bewertet, bestreitet eine leibliche Gegenwart. Ohne Zweifel ist für ihn, »dass die Begriffe, mit denen die Väter vom Abendmahl reden – repraesentare, figura, sacramentum, significatio – nur ein Bedeuten des Leibes und Blutes Christi aussagen« (S. 148). Luther hingegen erkennt im Zuge seiner Auseinandersetzung mit den Kirchenvätern sehr wohl den Empfang des wahren Leibes Christi im Abendmahl (S. 166).
Damit dürfte der Interpretationsspielraum teilweise gleicher Väteraussagen ausreichend verdeutlicht sein. Diese schwierige Ausgangslage meistert Hoffmann im zu besprechenden Band aber vollauf – nicht zuletzt dank seiner profunden Kenntnis der lateinischen Sprache. Es gelingt ihm, nicht nur die verschiedenen Standpunkte der ausgewählten Reformatoren voneinander abzusetzen, sondern gleichfalls die im Rahmen ihrer patristischen Studien sich spezifisch entwickelnde Erkenntnis nachzuzeichnen. In mindestens dreifacher Hinsicht ist daher eine Lektüre des vorliegenden Bandes gewinnbringend: 1. Er verdeutlicht das Streben nach innerreformatorischer Einheit, zugleich aber auch deren Grenzen. 2. Die Bedeutung der Alten Kirche für die Entwicklung eines evangelischen Bekenntnisses sowie für dessen dogmatisches Fundament wird, differenziert nach den ausgewählten Reformatoren, klar herausgearbeitet. 3. Es wird eine teils ähnliche, teils verschiedene Auswahl von Kirchenvätern als autoritativen Zeugen der Wahrheit präsentiert und durch zahlreiche, repräsentative Beispiele anschaulich dargestellt. Einzig der Verzicht auf Erwägungen, ob die Kirchenväter in allen Fällen entsprechend dem von ihnen gemeinten Sinn nach oder ohne Berücksichtigung des Kontextes allein zur Bestätigung der jeweiligen reformatorischen Argumentation zitiert wurden, ist bedauerlich, hätten sie doch großen Erkenntnisgewinn für die Legitimationsstrategien bedeutet. Dass Hoffmann jedoch mit Rücksicht auf den Umfang seiner Studie bewusst darauf verzichtet hat, ist nachvollziehbar und bietet zudem Anlass für weiterführende Untersuchungen.
Christoph Galle

Anmerkungen:
[1] So z.B. Wolf-Friedrich Schäufele (Hrsg.), Die Marburger Artikel als Zeugnis der Einheit, Leipzig 2012.
[2] Vgl. die allgemeinen Darstellungen: Günter Frank (Hrsg.), Die Patristik in der Frühen Neuzeit. Die Relektüre der Kirchenväter in den Wissenschaften des 15. bis 18. Jahrhunderts, Stuttgart 2006; Leif Grane / Alfred Schindler / Markus Wriedt (Hrsg.), Auctoritas patrum. Zur Rezeption der Kirchenväter im 15. und 16. Jahrhundert, 2 Bde., Mainz 1993/98. Zur patristischen Deutung des Abendmahls vgl.: Jens Schröter, Das Abendmahl. Frühchristliche Deutungen und Impulse für die Gegenwart, Stuttgart 2006, bes. S. 73–122; Johannes Betz, Eucharistie. In der Schrift und Patristik, Freiburg im Breisgau 1979, bes. S. 24–154.
[3] So z.B. Hans-Ulrich Delius, Augustin als Quelle Luthers. Eine Materialsammlung, Berlin 1984; Dorothea Demmer, Lutherus interpres. Der theologische Neuansatz in seiner Römerbriefexegese unter besonderer Berücksichtigung Augustins, Witten 1968; Walther von Loewenich, Von Augustin zu Luther. Beiträge zur Kirchengeschichte, Witten 1959.
[4] So Zwingli in seinem Commentarius de vera et falsa religione. Vgl. das in der ZUB Zürich vorhandene Digitalisat des Erstdrucks von 1525: <www.e-rara.ch/zuz/content/pageview/933106> (11.01.2013) , hier: S. 290.
[5] So mutmaßt zumindest Paul Pietsch (WA Schriften 23, S. 41).
[6] WA Schriften 23, S. 219.

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