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Rezension

Sehepunkte 12 (2012), Nr. 1

Mit der Konfessionalisierungsforschung sind seit einem Vierteljahrhundert gerade diejenigen Jahre in den Fokus des historischen und kirchengeschichtlichen Interesses geraten, in denen im Bereich der Wittenberger Reformation die theologischen Debatten stattfanden, die in der Konkordienformel zu einem gewissen Abschluss gebracht wurden. Das Augsburger Interim als Initialzündung dieser sogenannten »Streitkreise« unter den Schülern Luthers und Melanchthons geriet dabei ebenso in den Fokus der Forschung wie die Debatten selber: Zu nennen sind hier vor allem die Arbeiten zur Auseinandersetzung über den Satz Georg Majors, gute Werke seien notwendig zur Seligkeit, und über den sich direkt daran anschließenden sogenannten Antinomistischen Streit zur Frage nach dem sogenannten dritten Gebrauch des Gesetzes bei den Christen. Die Debatte um die Wittenberger Abendmahlslehre und Christologie, also die sogenannten »kryptocalvinistischen« Positionen an der Leucorea, provozierte gleich zwei Arbeiten zum Thema. Aber auch in die Erschließung der zeitgenössischen Quellen kam neue Bewegung: Das Mainzer Forschungsprojekt »Controversia et Confessio« stellte mit seiner Datenbank die in den Debatten erschienenen Druckschriften zusammen und nimmt eine Auswahledition der wichtigsten Streitschriften zu jedem der insgesamt acht Streitkreise vor.
Diesen neuen, in vielerlei Hinsicht verbesserten Forschungsstand wertet der vielleicht beste Kenner der Spätreformationszeit und des konfessionellen Zeitalters in der englischsprachigen akademischen Welt, Robert Kolb – Dozent am Concordia Seminary in St. Louis, Missouri, – in vorliegender Einführung in die Geschichte und Theologie der Konkordienformel unter kirchen- und theologiegeschichtlicher Fragestellung aus. Seine Darstellung berücksichtigt die historischen und (macht-)politischen Kontexte der Frühen Neuzeit, in die die debattierenden Theologen zweifelsohne eingebunden waren, geht dabei aber auch und vor allem den theologischen Debatten mit Behutsamkeit und dem nötigen Sachverstand nach.
Kolb hält in einem einführenden Abschnitt unter dem Titel »Konkordienformel: Ihr Sitz im Leben in der Spätreformation« zunächst fest, dass große theologische Denker Anhänger brauchen, »die ihre Gedanken interpretieren, kodifizieren und institutionalisieren, damit sie überdauern« (25). Er versteht die nach Luthers Tod einsetzenden Diskussions- und Klärungsprozesse also als notwendige Schritte, die von der Gestalt Luthers hinführen zu einer praktikablen Lehrgrundlage, in der die Theologie Luthers aufgefangen und nutzbar gemacht wurde. Für Kolb gehört so die Zeit nach Luthers Tod bis hin zur Konkordienformel zur Reformationsgeschichte hinzu. Erst in dieser »Spätreformationszeit« kam für ihn die Reformation zu ihrem lehrmäßigen Abschluss in Form des Konkordienbuches.
Bei der Darstellung der theologischen Debatten wählt Kolb den historischen Zugriff: Er beginnt mit einem kurzen Abschnitt (I.) über die noch zu Luthers Lebzeiten beginnenden Versuche seiner Schüler (Cordatus, Cruciger, Agricola u.a.), seinen Paradigmenwechsel in der Theologie lehrmäßig näher zu definieren. Alle diese Auseinandersetzungen wurden aber durch die Autorität der beiden Wittenberger Reformatoren, Luther und Melanchthon, beigelegt. Diese Möglichkeit gab es nicht mehr, als Luther gestorben und Melanchthon durch seine Mitarbeit an dem Leipziger Landtagsentwurf in den Augen einiger seiner Schüler diskreditiert war. Am Umgang mit dem Augsburger Interim (II.) entzündete sich der »Bruderkrieg« (51) zwischen den Schülern der Wittenberger Reformation. Melanchthon nahm auch unter politischem Druck eine Unterscheidung zwischen der Lehre, in der es keine Kompromisse geben durfte, und den sogenannten Adiaphora vor, bei denen ein Ausgleich mit den Altgläubigen möglich war, zeigte sich also besonders in liturgischen Fragen kompromissbereit. Dies provozierte den Widerstand seiner vor allem im renitenten Magdeburg versammelten Schüler, die unter Bedingungen, in denen die Entscheidung nicht frei steht, überhaupt keine Adiaphora mehr kennen wollten. Als Georg Major, einen Satz des Leipziger Landtagsentwurfes interpretierend und verteidigend, die These aufstellte, dass gute Werke zur Seligkeit notwendig seien, entflammte der Majoristische Streit (III.), in dem Major so verstanden wurde, als würde er den Werken eine verdienstliche Beteiligung an der Rechtfertigung des Sünders zusprechen. Die ohnehin bereits gereizten Gegner Melanchthons brandmarkten dies als Verrat an der Reformation und übersahen dabei, dass Major lediglich von den Werken, die der Rechtfertigung und Wiedergeburt folgten, hatte reden wollen.
Kolb sieht die Wurzeln des synergistischen Streitkreises (IV.) in dem Versuch Melanchthons, den Monergismus Gottes in der Bekehrung und Rechtfertigung des Sünders und die Verantwortlichkeit des Menschen zusammenzudenken: Was die Erwählten von den Verdammten trennt, muss in ihnen selbst zu suchen sein, nicht in einem verborgenen Willensratschluss Gottes. Es müssen daher drei Faktoren bei der Bekehrung des Menschen zusammenkommen: Der Heilige Geist zieht den sich nicht versperrenden Sünder durch das Wort Gottes hin zum Heil. Diese Aussagen provozierten den gnesiolutherischen Widerspruch: Flacius hielt den Menschen in seinem ganzen Wesen für so verdorben, dass er den Versuchen Gottes, ihn zu bekehren, prinzipiell widerstrebt. Die Bekehrung geschieht so gegen den Willen des Sünders und ist nur mit einer Auferstehung von den Toten zu vergleichen. Die Radikalität seiner Hamartiologie und die Folgen der Annahme, der Sünder sei imago diaboli, isolierten Flacius deutlich und trieben einen Keil in die gnesiolutherische Fraktion.
An den Abschnitt über den Osiandrischen Streit (V.) schließt sich die Darstellung des gesamten Zweiten Abendmahlsstreits und der Debatte um die Wittenberger Abendmahlslehre und Christologie an, die im Anschluss an die jüngere Forschung als »Kryptophilippismus« interpretiert wird (VI.).
In zwei Abschnitten stellt Kolb die Entstehung von territorialen Corpora doctrinae (VII.) und die württembergischen Einigungsversuche (VIII.) von den Anfängen bis hin zur Unterzeichnung des Bergischen Buches, der späteren Konkordienformel, dar. Ein letzter Teil behandelt die Rezeption der Konkordienformel (IX.), die in mehr als zwei Dritteln der evangelischen Territorien zur Lehrgrundlage wurde. Der anhaltende Widerstand, der sich auch in Publikationen äußerte, machte eine Apologie der Konkordienformel nötig. Die Konkordienformel zeigt sich so als ein Kompromiss, der zwangsläufig an den Eckpunkten der eigenen theologischen Entscheidung andere Positionen ausschloss. Unter den Voraussetzungen des 16. Jahrhunderts kann sie aber ebenso auch als »ökumenisches Unternehmen« (180) gelten, das zu seiner Zeit seinesgleichen sucht, wie Kolb im Anschluss an Ernst Koch festhält.
Die vorliegende Studie erscheint noch vor ihrer ersten Publikation in englischer Sprache in einer recht soliden deutschen Übersetzung, der nur selten gewisse Unsicherheiten wie »Eigenwahrnehmungen« (59) und »Albertiner Linie« (42) unterlaufen. Die Publikation Kolbs ist mehr als eine Zusammenfassung des bisherigen Forschungsstandes. In vielem geht sie darüber hinaus und vermag so, selbst dem Fachmann Neues zu vermitteln. Dass Kolb Kenner der Materie ist, zeigt sich nicht zuletzt auch an der eingehenden Darstellung der Debatten unter den »Konkordisten« bei ihrem Ringen um den Endtext der Konkordienformel. Es gelingt Kolb, auf kleinstem Raum komplexe theologische Debatten vorzustellen, ohne den Leser dabei zu bevormunden. Dem Buch ist nicht zuletzt auch darum eine häufige Benutzung in akademischen Lehrveranstaltungen zu wünschen. Kolbs oft theologiegeschichtlich gelenkter Zugriff ist sicher nicht alternativlos, aber eine hoch willkommene Ergänzung der bisherigen Forschung ist er mit Sicherheit.

Johannes Hund

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