Rezension
Lutherische Theologie und Kirche, 35. Jahrgang (2011), Heft 1
Der 5. Ergänzungsband der Oberurseler Hefte ist dem früheren Praktischen Theologen der Lutherisch-Theologischen Hochschule (LThH), Oberursel/Ts., Dr. Wilhelm Rothfuchs, zu seinem 75. Geburtstag gewidmet. Das Thema der Aufsatzsammlung und der Predigten und Ansprachen wurde von den Herausgebern gewählt, weil zum einen der Jubilar in seiner Antrittsvorlesung in Oberursel 1989 es dezidiert betonte, weil zum anderen Beichte und Buße in den evangelischen Kirchen seit dem Pietismus ihren hohen Stellenwert verloren haben und es darum geht, ihn wieder zurück zu gewinnen und weil schließlich in der Lutherdekade die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK) das Jahr 2010 auf Beichte und Buße fokussiert hat.
Festschriften haben immer einen gewissen zufälligen Charakter in der Auswahl der Verfasser und der Themen. Das macht sich auch in diesem Band bemerkbar, wenn einige Aufsätze das Sujet gar nicht direkt aufnehmen oder andere vielleicht wünschenswerte Themen wie z. B. ein Überblick über Beichte und Buße in den Vorgängerkirchen der SELK oder eine genauere Analyse, warum es zum Abbau von Beichte und Buße in den evangelischen Kirchen, speziell auch in der SELK gekommen ist oder wie Beichte und Buße im ökumenischen Kontext betrachtet werden oder das Verhältnis von Beichte und Psychotherapie ansatzweise bearbeitet werden. Es fehlt auch der Blick auf das weite Feld der Diakonie, in dem in der Verbindung mit Seelsorge und Beratung Beichte und Buße, oftmals auch verdeckt, eine große Bedeutung haben. Schade ist, dass keine Theologin einen wissenschaftlichen Beitrag geliefert hat. Diese Anfragen gelten aber nicht den Autoren der Aufsätze und Predigten, sondern sind mehr Anfragen grundsätzlicher Art. Von daher ist die Perspektive der Herausgeber, dass das Thema weiter bearbeitet werden muss, begrüßenswert.
Die Verfasser der Aufsätze, die zum einen aus dem Professorenkollegium der LThH kommen und zum anderen in unterschiedlicher Weise Wegbegleiter des geehrten Dr. Wilhelm Rothfuchs sind, öffnen dem Leser und der Leserin in vielfältiger Weise den Zugang zu Beichte und Buße als »heilvoller Wende«. Fraglich bleibt, ob der Begriff »Erwägungen« diese Sammlung gut beschreibt. Der Begriff nivelliert und lässt den autoritativen Charakter der Aussagen, z. B. bei Werner Klän verloren gehen. Unklar bleibt, wer die Adressaten des Sammelbands sein sollen. Sie werden erst bei den Predigten und Ansprachen im zweiten Teil des Buches, die eine homiletische Lücke schließen wollen, und bei der Analyse dieses Teiles für den Beichtprediger durch Christoph Barnbrock deutlich.
Den Reigen der Aufsätze eröffnet das Professorenkollegium. Die Professoren überreichen dem Jubilar gleichsam einen Blumenstrauß aus den Disziplinen.
Der Alttestamentler Achim Behrens widmet sich dem 51. Psalm, der vor allem in der kirchlichen Tradition als Bußpsalm verwendet wird. Er kennzeichnet ihn als ein »inneralttestamentliches Kompendium zu Sünde und Gnade« (16), das in »einzigartiger Weise!« die Erneuerung des Menschen als Neuschöpfung in den Mittelpunkt stellt. Auch wenn man die textkritischen Äußerungen zu Psalm 51 als nicht überzeugend kritisch beleuchten mag, ist die Auslegung des Psalms eine Fundgrube für den, der den Text zu predigen hat, sei es in seiner Gesamtheit oder in einzelnen Versen. Weiterführend sind die Bezüge zum Neuen Testament, zum Bekenntnis (CA II) und zum Gottesdienst.
Der frühere Neutestamentler Volker Stolle erläutert anhand von Matthäus 1,21 die von seinem und Wilhelm Rothfuchs‘ Doktorvater Karl Heinrich Rengstorf gegen Rudolf Bultmann formulierte Grundaussage, dass Theologie als solche immer Soteriologie ist, die auch den Weg mit Israel einschließt. Die Einzelexegese ist tiefgründig und erkenntnisreich.
Der amtierende Neutestamentler Jorg Christian Salzmann gibt einen Überblick zum Thema Sündenvergebung im Neuen Testament. Zum Wesen eines Überblicks gehört, dass dabei die Exegese einzelner Stellen nicht ausführlich geschehen kann. In der Übertragung seiner Ergebnisse kommt Salzmann zu der Feststellung, dass die im Beichtgottesdienst zitierten Schriftworte als »Einsetzungsworte verstanden werden, obwohl sie die ›normale‹ Sündenvergebung für Christen ursprünglich nicht im Sinn haben« (56). Der Professor für Systematische Theologie Werner Klän ruft anhand des Lutherischen Bekenntnisses die Dimension des göttlichen Vergebens in Erinnerung, die in der neuen gegenwärtigen Diskussion zum Thema Vergebung zu kurz komme. Er steht dabei positiv zu der Kennzeichnung von Buße und Beichte als drittes Sakrament. In dem Kapitel »Voranschreiten auf dem Weg christlichen Glaubens und Lebens« (72-75) weist Klän darauf hin, dass im Glauben empfangene Vergebung nicht folgenlos bleiben kann. Diese prozessuale Sichtweise sei dann auch als Heiligung bezeichnet worden.
Der Praktische Theologe Peter Matthias Kiehl arbeitet liturgiegeschichtlich die Entwicklung von Buße und Beichte bis in die Gegenwart heraus. Er erinnert an die Perspektive des früh verstorbenen Professors für Praktische Theologie Detlef Lehmann, Sündenbekenntnis und Absolution als »herausgehobene Riten« zu werten und den Bezug zur Taufe stärker herauszuheben (87). »Die Buße, in welcher spirituellen Gestalt sie auch begangen wird, ist eine intensive Form des Taufgedächtnisses« (88).
Die weiteren Aufsätze im ersten Teil wollen weiter vor allem der praktisch theologischen Arbeit dienen. Bischof Hans-Jörg Voigt gibt viele gute Hinweise für eine anschauliche Predigt. Hans Peter Mahlke, der frühere Katechet der SELK, macht Mut, das Thema Schuld und Vergebung auch mit Kindern zu besprechen; er gibt auch ganz konkrete Hilfestellung. Er fokussiert: »Die Tendenz, das Thema ›Schuld‹ gegenüber Kindern zu umgehen, um sie nicht zu belasten, scheint zwar das Wohl des Kindes im Sinn zu haben, ist aber gerade verkehrt« (113). Auch sie sollen die heilvolle Wende erfahren. Hartwig F. Harms fragt nach seinen Erfahrungen aus Äthiopien mit einer schamorientierten Gesellschaft sehr grundsätzlich, ob Deutschland noch schuldorientiert und damit noch offen für eine Verkündigung von Vergebung der Schuld ist. Er betont, dass in den Predigten als auch in den Beichtansprachen mehr vom »Christus Victor« Zeugnis zu geben ist (133). Leider wird das von Harms nicht weiter ausgeführt, was das für die gegenwärtige Beichtansprache bedeutet. Mit diesem Denkansatz sollte aber weiter am Thema gearbeitet werden, damit die mehrfach benannte Beichtmüdigkeit in der Kraft des Heiligen Geistes überwunden werden kann.
Zwei Aufsätze, der eine von Wilhelm Weber zu einem Beispiel aus der Missionsgeschichte, der andere von Manfred Holst mit einer Reminiszenz zur Kirchengeschichte runden den ersten Teil ab. Gern hätte man von Weber unter dem Thema Buße und Beichte noch etwas mehr zu der Entwicklung der »Wahrheits- und Versöhnungskommissionen« in Südafrika gehört (135, Anm. 6). Holst erinnert an den Auftrag, auch innerkirchlich und zwischenkirchlich Buße und Vergebung zu praktizieren.
Der zweite Teil der Aufsatzsammlung beginnt eigentlich mit den grundsätzlichen Überlegungen von Horst Nickisch, dem langjährigen Leiter des Praktisch Theologischen Seminars der SELK, zur Beichtrede und der Hinführung des zukünftigen Professors für Praktische Theologie an der LThH Christoph Barnbrock zu den folgenden Beichtansprachen und Predigten aus der SELK. Die Analyse und die Ermutigungen zur Beichtansprache sind so ergiebig, dass der Rezensent die einzelnen Ansprachen nicht weiter zu reflektieren braucht. Er verweist auf Barnbrock. Unklar bleibt, was der Unterschied zwischen Ansprache und Predigt ist. Da ist sicherlich Klärungsbedarf in der Kirche. Hilfreich wäre ein Vergleich mit Beichtansprachen (soweit vorhanden) und Predigten zum Buß-und Bettag aus dem ökumenischen Umfeld.
Eine Übersicht über die Autoren, ein Sachregister und, dankenswerterweise, ein Bibelstellenregister schließen den gut lesbaren und vor allem für Theologen und Theologinnen empfehlenswerten Aufsatzband zu Buße und Beichte in der evange-lisch-lutherischen Kirche ab. Dabei fällt nicht ins Gewicht, dass kein Literaturverzeichnis erstellt wurde.
Diethardt Roth