Rezension
Lutherische Kirche 12/2009
»Konfrontation mit gutem Ausgang«: So überschreibt die Arbeitsgruppe der SELK für das Reformationsjubiläum 2017 den Themenschwerpunkt für das nächste Jahr. Um Rechtfertigung und Beichte soll es gehen. Da passt es gut, dass sich der Ergänzungsband 5 der Oberurseler Hefte mit Buße und Beichte befasst und unter dem Titel »Heilvolle Wende« das Thema von verschiedenen Seiten beleuchtet. Der Aufsatzband ist Prof. Wilhelm Rothfuchs zu seinem 75. Geburtstag gewidmet.
Das Interesse an der Beichte scheint neu erwacht; Luthers Thesen werden wieder aktuell. Prof. Werner Klän gibt in seinem Aufsatz einen Überblick über das »dritte Sakrament« im Bekenntnis der lutherischen Kirche. Er lenkt den Blick dabei vor allem auf das Handeln Gottes. »In Beichte und Buße werden wir vor Gott gestellt und sind gefragt, wie wir vor Gott dastehen. Damit ist zugleich ein Urteil über unser Dasein gefällt, wenn wir es aus eigener Kraft meistern wollen: Unsere Verkehrtheit in Gottes Augen besteht darin, dass wir dem Wahn anhängen, wir wären unser selbst oder der ganzen Welt Herr, während wir in Wahrheit nur um uns selber kreisen. Das Nachdenken über Schuld und Vergebung bringt uns zum Kern christlichen Glaubens und Lebens. Solche Wahrheit tut weh, muss weh tun, will sie die Maske der Selbstgerechtigkeit wegnehmen und heilsam wirken.« Prof. Werner Klän formuliert das deutlich: »Das falsche Selbstbild ist eine verheerende Lebenslüge. Unser Leben ist dadurch grundlegend fehlbestimmt: Es sollte ja ein Leben vor Gott und für den andern sein, es vollzieht sich aber als ein Leben in anhaltender Sorge um sich selbst.« Das »erschrockene Gewissen« aber findet den ganzen Trost in Beichte und Buße. Gottes Zusage ist all unserem Handeln voraus. »Wir vernehmen von Gott: Wir können vor Gott bestehen. Daher empfangen wir unsere Würde, daher erhalten wir unsern Wert. Wir haben vor Gott Bestand«.
Wie diese Wahrheit im Gottesdienst nun verkündigt wird, lässt sich an ausgewählten Predigtbeispielen von SELK-Pfarrern ablesen, die der Band versammelt. Ein vorweg abgedrucktes Referat von Bischof Hans-Jörg Voigt zum Thema »Anschaulich predigen« ist dabei sehr aufschlussreich und gibt Einblick in die Werkstatt eines Predigers.
Interessante Aspekte zum Thema Schuld und Vergebung steuern unter anderen auch Pfarrer i. R. Hans Peter Mahlke und Pfarrer i. R. Hartwig F. Harms bei. Hans Peter Mahlke geht der Frage nach, warum Schuld bei Kindern fast überhaupt nicht thematisiert wird. »Das liegt einmal an dem Umgang der Erwachsenen mit ihrer eigenen Schuld. Zum andern scheint es nicht zu einer Einstellung zu passen, die die Kinder zu Selbstständigkeit, Selbstbewusstsein und Durchsetzungsfähigkeit anzuleiten sucht.« Hartwig F. Harms berichtet von seinen Erfahrungen als Missionar in Äthiopien und weitet den Blick auf den kulturellen Hintergrund der Thematik. Er differenziert zwischen Schuldkultur und Schamkultur. Schuldkulturen, so Harms, orientierten sich vor allem an Recht und Gerechtigkeit, während Schamkulturen sich hauptsächlich an der Ehre orientierten. Er führt aus, dass diese Erkenntnis Konsequenzen für eine missionarische Verkündigung haben muss, und er konstatiert, dass auch in Deutschland die Schuldorientierung mittlerweile der Vergangenheit angehört. »Auch in traditionellen Gemeinden in Deutschland ist die Beichtmüdigkeit unübersehbar. Der Buß- und Bettag konnte vom Staat als Feiertag abgeschafft werden, fast ohne dass es auffiel. (...) Beichtgottesdienste werden immer spärlicher besucht. Privatbeichte wird immer wieder in vielen Gemeinden dringend empfohlen, ohne nennenswerte Resonanz.« Für Harms Belege, dass es auch in Deutschland kaum noch Menschen gibt, die Schuldbewusstsein drückt, und das müsste für den Prediger Konsequenzen haben: »Wollen wir diese Menschen mit der Predigt von Gottes erlösendem Heilshandeln erreichen, ist ein durch Schuldgefühl belastetes Gewissen kein Anknüpfungspunkt mehr.«
Doris Michel-Schmidt