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Rezension

Zeitschrift für Kirchengeschichte 1/2009

Die besondere Bedeutung dieses Buches liegt darin, dass es die erste, wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Biographie John Wesleys in deutscher Sprache seit dem epochemachenden Werk von Martin Schmidt (John Wesley, Band I, Die Zeit vom 17. Juni 1703 bis 24. Mai 1738, Zürich/Frankfurt a.M. 1953; II , Das Lebenswerk John Wesleys, 1966) darstellt. Die amerikanische Originalausgabe ist alIerdings schon vor mehr als 10 Jahren erschienen (Wesley and the People Called Methodists, Abingdon Press Nashville, 1995). In der internationalen Forschung gilt sie inzwischen als Standardwerk, und darum ist es sehr zu begrüßen, dass das Buch jetzt auch in einer deutschen Ausgabe zur Verfügung steht. Heitzenraters Arbeit hat eine Reihe von Vorzügen: Das Buch ist streng nach den Quellen erarbeitet. Fast überall belegt H. seine Darstellung mit Zitaten aus Originalquellen, wobei er die Nachweise nicht überall direkt erbringt, sondern durch Verweis auf entsprechende Passagen in seinen früheren Veröffentlichungen (leider fehlen einige dieser Verweise in der deutschen Ausgabe, z. B. S. 41 und 50). Heitzenrater und seine Leser und Leserinnen profitieren dabei von der stupenden Kenntnis des einschlägigen Materials, die sich der Autor als Mitherausgeber der sieben Bände von John Wesleys Journal and Diaries in der neuen Gesamtausgabe der Werke John Wesleys und als General Editor dieses Unternehmens erworben hat (vgl. The Works of John Wesley. Editor-in-Chief Frank Baker, seit 1983 General Editor Richard P. Heitzenrater. Begonnen 1975 als The Oxford Edition of the Works of John Wesley durch Clarendon Press, Oxford, weitergeführt 1984 als Bicentennial Edition durch Abingdon Press, Nashville TN, darin: Volume 18, Journal and Diaries I ,1735-38 - Volume 24, Journal and Diaries VII, 1787-1791, edited by W. Reginald Ward and Richard P. Heitzenrater, Abingdon Press Nashville 1988-2003).
Dagegen verzichtet Heitzenrater auf eine explizite Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur, was der Lesbarkeit des Buches gut tut. Allerdings können so nur Fachleute erkennen, wie er sich in offenen Fragen der Forschung positioniert. Das Buch beginnt mit einem ersten Kapitel »Der Methodismus und das christliche Erbe in England«, in dem H. sehr instruktiv die kirchlichen und geistlichen Voraussetzungen für die Entstehung der methodistischen Bewegung skizziert. Überraschenderweise spricht er dann im nächsten Kapitel von einer dreifachen Entstehung (engl. rise, was etwas ungeschickt mit Aufkommen übersetzt wird, anders S. 70) des Methodismus, nämlich in Oxford, Georgia und London. Mir scheint damit die Bedeutung des Wirkens Wesleys in Georgia zu positiv bewertet, das er auch seIber wohl immer als Scheitern gesehen hat. Außerordentlich spannend ist dagegen die Schilderung der theologischen und geistlichen Entwicklung Wesleys im Jahr 1738. H.s akribische Methode, die Schritt für Schritt den Selbstzeugnissen Wesleys folgt, zeigt, wie sehr dieser um den rechten Weg gerungen hat und wie viele unterschiedliche Phasen er in seinen theologischen Überzeugungen, insbesondere hinsichtlich des Zusam- menhangs von Rechtfertigung und Glaube, in diesen Monaten durchlief. Jede allzu schematische Darstellung der »Bekehrungs«-erfahrung Wesleys findet hier ihre Widerlegung. Für die Darstellung der weiteren Entwicklung des Wirkens Wesleys und des Werdens der methodistischen Bewegung in den folgenden Kapiteln gilt Ähnliches: Oszillographisch genau zeichnet H. aIle Schwankungen in theologischen und organisatorischen Fragen auf und lässt zugleich erkennen, welche grundsätzlichen Perspektiven und Linien konstant bleiben. Von seinem Ansatz her, der im englischen Titel noch deutlicher zum Ausdruck kommt als im deutschen, mochte H. John Wesleys Leben und Werk im Zusammenhang mit der Arbeit seiner Weggenossen darstellen. Das gelingt auch teilweise. Vor allem wird der Einfluss seines Bruders Charles relativ breit und konturiert dargestellt. Auch viele andere der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, einschließlich derer, die eigene Wege gingen, und eine Reihe seiner Gegner kommen zu Wort. Allerdings bleibt das Bild durch die Art der Quellenbenutzung fast notwendigerweise auf John Wesley (und teilweise auch auf seine Sicht) fokussiert. So wird die von seinem Bruder hintertriebene Verlobung mit Grace Murray nur kurz gestreift und die unglückliche Ehe mit Mary Vazeille nicht einmal erwähnt ? vielleicht deshalb, weil sie für Wesleys Wirken und den frühen Methodismus keine erkennbare Rolle spielte. Denn H. sieht Wesley keineswegs unkritisch. Seine Schwächen werden durchaus gesehen und oft mit freundlicher lronie gezeichnet. Sehr verdienstvoll ist, dass H. bei der Darstellung der weiteren Entwicklung der methodistischen Bewegung unter Wesleys Leitung Einblick in die kritische Analyse der verschiedenen Editionsstufen der sog. Minutes bietet. Das sind die Protokolle der Verhandlungen der Konferenzen ausgewählter Prediger mit John Wesley, die jährlich stattfanden und die theologischen und organisatorischen Entscheidungen für das Werk trafen. Diese Protokolle wurden gedruckt und die Beschlüsse später in verschiedenen Ausgaben, z. B. den Large Minutes zusammengestellt, die so etwas wie eine erste Kirchenordnung darstellten. Allerdings kam es im Verlauf der Zeit auch zu nachträglichen Änderungen, und deswegen ist die für Band 10 der neuen Gesamtausgabe vorgesehene kritische Edition dieser Texte ein dringendes Desiderat der Forschung. H. kennt aber offensichtlich schon die wichtigsten Ergebnisse und lässt uns in der Schilderung der Entwicklung des frühen Methodismus daran teilhaben.
Die Übersetzung aus dem Amerikanischen ins Deutsche, oft ein Schwachpunkt solcher Unternehmungen, ist im Großen und Ganzen korrekt und flüssig. Nur an einigen Stellen tappt der Übersetzer in die Falle: profaness ist nicht Profanität, sondern Unanständigkeit (S.43), ein subscriber ist kein Unterschreiber, sondern ein Spender (S. 135) und ein preacher's stipend ist kein Stipendium,  sondern das Predigersgehalt (S.233) [die Übersetzer nennen diese Fehlerquelle »falsche Brüder«]. Meiner Meinung nach hätte es dem deutschen Sprachgebrauch eher entsprochen, die Organisationsform der wesleyanischen Societies mit Gemeinschaft statt mit Gesellschaft zu übersetzen, und auch der berühmte Slogan: »I look upon all the world as my parish« wäre treffender mit »lch betrachte die ganze Welt als meine Pfarrei«wiederzugeben als mit »als meine Gemeinde«. Auf S. 306 muss es in der Zeitleiste 7 statt »Schlichter Bericht über die sogenannten Methodisten«heißen: »Schlicher Bericht über die Christliche Vollkommenheit.« Wirklich ärgerlich aber ist, wie die deutsche Ausgabe mit den Illustrationen der Originalausgabe umgeht. Dass 14 Bilder bzw. Faksimiles weggelassen wurden, mag man angesichts der beträchtlichen Zahl derer, die beibehalten wurden, verschmerzen. Dass aber bei einer Reihe von Abbildungen zwar die richtige, mit der Originalausgabe übereinstimmende Bildunterschrift steht, aber nicht die dazu gehörige Illustration, ist außerordentlich bedauerlich, zumal die Fehler nicht immer leicht zu erkennen sind: S. 42 zeigt nicht St. Paul's Cathedral in London, sondern (wie S.48) St. Andrews in Epworth, S. 58 nicht Wesleys persönliches Tagebuch in Kurzschrift, sondern den letzten Eintrag in sein Kassenbuch von 1791, das Faksimile auf S. 75 ist kein Eintrag in Wesleys Tagebuch von 1735, sondern vermutlich eine Mitgliederliste der Gemeinschaft in Manchester und das auf S. 228 nicht Wesleys erster handschriftlicher Bezirkspredigtplan von 1754, sondern eine Seite seines persönlichen Tagebuches vom 16.-20. April 1738 in Kurzschrift. (Merkwürdigerweise finden sich einige der falsch eingeordneten Illustrationen nicht in der Originalausgabe.) Problematisch ist auch, dass auf die englische Übersetzung der Biographie von Martin Schmidt verwiesen wird und nicht auf das deutsche Original. Aber trotz dieser Versehen bietet auch die deutsche Übersetzung des Buches von H. eine ausgezeichnete und empfehlenswerte Einführung in das Lebenswerk John Wesleys und die Entstehung des Methodismus, die spannend zu lesen und zugleich solide aus den Quellen erarbeitet ist.
Walter Klaiber

Rezensierter Titel:

Umschlagbild: John Wesley und der frühe Methodismus

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John Wesley und der frühe Methodismus

Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Wolfgang Günther
Heitzenrater, Richard P.

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