Rezension
Göttinger Tageblatt, 20. Dezember 2008
Die Kirchen und der Frieden
Studie untersucht Stellungnahmen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001
Friede auf Erden - so soll es zu Weihnachten sein, das verkünden die himmlischen Heerscharen im Lukasevangelium den Menschen an Jesu Geburt. Doch wie steht die Kirche in Zeiten des Terrorismus zum Frieden? Bernd Kirchschlager hat in einem Buch "Kirche und Friedenspolitik nach dem 11. September" analysiert.
VON JÖRN BARKE
Kirchschlager untersucht in seinem Buch kirchliche Stellungnahmen zur Friedenpolitik seit den verheerenden Terror-Anschlägen in den USA am 11. September 2001. Der Schwerpunkt in dem im Göttinger Verlag Edition Ruprecht erschienenem Werk liegt auf dem deutschen Protestantismus. Es werden vergleichend aber auch Statements der römisch-katholischen Kirche herangezogen. Seit dem 11. September 2001 und dem danach ausgerufenen "war on terror" stehe die friedensethische Diskussion in den Kirchen vor ganz neuen Herausforderungen angesichts des global auftretenden nichtstaatlichen Terrors.
Vor die Analyse der aktuellen Entwicklung setzt Kirchschlager einen hilfreichen historischen Rückblick, der mit dem Konzept der Lehre vom gerechten Krieg bei christlichen Denkern in Spätantike und Mittelalter über reformatorische Standpunkte bis hin zu entscheidenden Wegmarken im 20. Jahrhundert reicht. Im eigentlichen Analyse-Teil werden die Reaktionen auf die Terroranschläge vom 11. September, den Krieg in Afghanistan, die Irak-Krise und den Irak-Krieg jeweils in eigenen Kapiteln abgehandelt.
Bei den protestantischen Antworten macht Kirchschlager fast zwei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland aus. Die Äußerungen der ostdeutschen Landeskirchen seien deutlich pazifistischer geprägt und nähmen stärker Partei gegen die USA. Häufiger als im Westen sei es im Osten zu Aufrufen der Synoden an die Gläubigen gekommen, sich an Protesten gegen den Irak-Krieg zu beteiligen.
"Chance und Verpflichtung"
Insgesamt beobachtet Kirchschlager eine parallele Entwicklung bei den Äußerungen der protestantischen Kirchen und der rot-grünen Bundesregierung: "Während die Luftangriffe auf Jugoslawien noch gebilligt wurden, kamen beim Afghanistan-Einsatz schon Zweifel auf, was sich in kritischen und ambivalenten kirchlichen Äußerungen und einer heftigeren Debatte in der Regierungskoalition und im Bundestag niederschlug. Beim Irak-Krieg schließlich war sowohl im kirchlichen als auch im politischen Feld die Entwicklung hin zur Ablehnung der militärischen Gewalt abgeschlossen."
Die Renaissance des Religiösen nach dem 11. September 2001 sollte laut Kirchschlager "für die Kirchen Chance und Verpflichtung sein, sich kompetent für den Frieden einzusetzen" - im theologischen Sinne ganzheitlich und nicht nur als Abwesenheit von Krieg.
Die neue Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum Frieden konnte Kirchschlager noch nicht heranziehen. "Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten", heißt es dort. Eine internationale Rechtsordnung müsse dem Vorrang ziviler Konfliktbearbeitung verpflichtet sein "und die Anwendung von Zwangsmitteln an strenge ethische und völkerrechtliche Kriterien binden". Auch der internationale Terrorismus rechtfertige keine Wiederbelebung der Lehre vom gerechten Krieg; dem Terrorismus könne und müsse vielmehr im Rahmen des Regelwerks der UN begegnet werden.
Zu einer solchen Position bringt Kirchschlager allerdings zwei Kritikpunkte an. Zum einen werde die Macht der Vereinten Nationen in protestantischen Stellungnahmen häufig überschätzt. Zum anderen werde die Lehre vom gerechten Krieg abgelehnt und für erledigt erklärt. Doch die Kriterien für eine mögliche legitime Anwendung von Gewalt würde häufig weiterhin aus dieser Lehre bezogen. Dann soll dies aber auch entsprechend benannt werden: "Dass dies in ein Konzept vom gerechten Frieden eingebettet ist, kann dabei ja auch deutlich gemacht werden."
Kirchschlager, Bernd: Kirche und Friedenspolitik nach dem 11. September, Edition Ruprecht, geb., 304 Seiten, 39,90 Euro.
Denkschrift des Rates der EKD: "Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen", Gütersloher Verlagshaus, 128 Seiten, 5,95 Euro.